Eckhard Fuhr
Als kurz nach dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest im Südosten Brandenburgs die Vertreter der deutschen Jagdverbände zu einer Telefonkonferenz beim Bundeslandwirtschaftsministerium zusammengeschlossen waren, stieß die Mahnung, bei der nun dringlichen drastischen Reduzierung der Schwarzwildbestände die Bahnen herkömmlicher Jagdausübung zu verlassen, noch auf den empörten Widerspruch manches stolzen Jägerpräsidenten. Man verbitte sich solche Belehrungen, hieß es. Und in Brandenburg selbst führte der Präsident des Landesjagdverbandes durch wirre Medienaktionen aller Welt vor Augen, dass zumindest die Führung dieses Verbandes noch nicht verstanden hatte, was dieser ASP-Ausbruch für Jagd und Jäger bedeutet. Viren sind hartnäckige Gegner. Und sie erzwingen Veränderungen. Wir werden mit ihnen nur fertig, wenn wir gemeinsam handeln und gleichzeitig eingeschliffene Gewohnheiten aufgeben. Als Treiber unserer kulturellen Evolution – und unserer biologischen wohl auch – sind Viren gar nicht zu überschätzen.
Das Jahr 2020 stand ganz im Zeichen der Viren. Die Corona-Pandemie schnitt und schneidet tief in unsere Lebensgewohnheiten ein und erschüttert scheinbar festgefügte zivilisatorische Selbstverständlichkeiten. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass danach vieles nicht mehr so sein wird wie vorher, etwa in der Arbeitswelt oder auf dem Gebiet der Mobilität. Die Erfahrung, dass ein Wirtschaftssystem in die Knie geht, wenn die Leute nur noch das kaufen, was sie wirklich brauchen, hat viele zum Nachdenken gebracht über unseren Lebensstil und seine Kosten.
Auch die Jagd bleibt von Corona nicht unbehelligt. Hygieneregeln müssen eingehalten werden, das Gesellige bei Gesellschaftsjagden, für manchen wackeren Weidmann das Wichtigste bei der Jagd, ist auf ein Minimum zu reduzieren. Und wer bislang zähneknirschend sich dem Gebot von rotem Hutband und Signalweste beugte, der hat sich jetzt auch noch mit einer Mund- und Nasenbedeckung abzufinden. Und das soll noch Jagd sein?
Ja, das ist Jagd, und es findet in diesen Pandemie-Zeiten nur statt, weil alle Landesregierungen in Deutschland, weil Politik und Verwaltung der Überzeugung sind, dass Jagd aus verschiedenen Gründen wichtig ist, ja sogar „systemrelevant“. Eine Gesellschaftsjagd ist kein geselliges Vergnügen, ist keine Sportveranstaltung, sondern forst- und landwirtschaftliche Arbeit, auf die nicht verzichtet werden kann. Nicht mehr und nicht weniger. So führt das Virus die Jagd auf ihren unverfügbaren Legitimationsgrund zurück. Das ist gut für die Jagd und bitter für alle Jäger, die einem romantisch umwölkten Jagdverständnis anhängen.
Unter Corona-Bedingungen wird in Brandenburg der Kampf gegen die Afrikanische Schweinepest geführt. Wahrscheinlich ist das Bewusstsein, dass sowieso eine Art Ausnahmezustand herrscht, günstig für die Entschlossenheit, mit der dieser Kampf geführt wird, in dem schnelle Siege nicht zu erringen sind. Die auch von der EU-Veterinärbehörde nachdrücklich unterstützte Strategie hat zum Ziel, das Seuchengeschehen in eingezäunten Kerngebieten einzugrenzen und in doppelt gezäunten Weißen Zonen um diese Kerngebiete herum den Schwarzwildbestand möglichst auszulöschen. So soll die Virusverbreitung innerhalb der Schwarzwildpopulation gestoppt werden.
Es sind zwei grüne Minister der Potsdamer Regierungskoalition aus SPD, CDU und Grünen, die für die Umsetzung dieser Strategie verantwortlich sind: Ursula Nonnemacher (Gesundheit) und Axel Vogel (Landwirtschaft). Man sollte das nicht unerwähnt lassen. Es ist nicht selbstverständlich, dass Politiker der Grünen ohne mit der Wimper zu zucken den Massenabschuss von Wildtieren vorantreiben.
Aus dem benachbarten Berlin sind aus der für ASP zuständigen ebenfalls grün geführten Senatsverwaltung ganz andere Töne zu hören. Man wolle kein Massaker an Wildschweinen, heißt es da. Es kann nichts schaden, dass die ASP-Viren in der grünen Partei Klärungsprozesse in Sachen Jagd und Wildtiermanagement voranbringen. In Brandenburg treibt der grüne Minister die Erneuerung des Jagdrechts im wald- und klimafreundlichen Sinn voran. In Berlin traut sich niemand, das veraltete Jagdgesetz in die Hand zu nehmen.
Es herrscht jagdpolitisch eine bleierne Zeit. Das Damoklesschwert ASP hilft schon jetzt, hier Bewegung in die Sache zu bringen.
In ihrer vorletzten Ausgabe des Jahres 2020 stellte die Zeitschrift „Wild und Hund“ in der Titelgeschichte die bange Frage, ob die „Sauenära“ jetzt vorbei sei. Das Titelblatt zierte die Großaufnahme eines mit gigantischen Waffen bestückten Keilergebrechs. Einerseits kann man die Leser von „Wild und Hund“ beruhigen: Wildschweine wird es auch in Zukunft geben. Und nicht zu knapp. Dafür sorgen die Robustheit und Anpassungsfähigkeit der Art und die optimalen Lebensbedingungen in unserer Agrarlandschaft. Andererseits muss man klipp und klar sagen: Wer immer noch glaubt, dass der starke Keiler Ziel und Lohn aller Schwarzwildhege und -bewirtschaftung sei, ist aus der Zeit gefallen. Man hätte heute weniger Arbeit mit der ASP, wenn man bei der Schwarzwildbejagung schon vor zwanzig Jahren beherzigt hätte, was die Wildbiologie längst erkannt hatte, nämlich dass das Wundertier Leitbache ein Mythos ist, dass das sture Schonen von Bachen kein Ausweis weidmännischer Gesinnung, sondern von Ignoranz ist und dass man Bachen schießen muss, wenn man die Populationsdynamik des Schwarzwildes brechen will. Bis heute fehlt vielen diese Einsicht und dieser Wille.
Die ASP aber erweist sich hier als unerbittlicher Lehrmeister.
Die Ansage bei Bewegungsjagden lautet nun immer öfter und immer klarer, dass aus Rotten ohne gestreifte Frischlinge vorrangig die Bachen herauszuschießen seien. Der „Leitfaden zur Reduzierung des Schwarzwildbestandes im Rahmen der ASP-Bekämpfung im Land Brandenburg“ fordert ausdrücklich die Jagd auf Bachen. In den Kernzonen und Weißen Zonen, also dort, wo das Seuchenrecht und nicht das Jagdrecht die Regeln setzt, ist der Betrieb von Saufängen gefordert. Mehr als hundert stationäre und mobile Fallen hat das Land inzwischen installiert. Es gilt für das ganze Land eine pauschale Genehmigung zum Betrieb von Saufängen, wenn die Sachkunde nachgewiesen ist. Die Einzeljagd in den Restriktionszonen soll vorrangig als nächtliche Pirsch mit Nachtzieltechnik durchgeführt werden. Und Bewegungsjagden finden nur auf Anordnung der Veterinärbehörde mit genauer Beschreibung des zu bejagenden Gebietes unabhängig von Jagdgrenzen statt.
In ASP-Zeiten wird also das bisher Undenkbare nicht nur denkbar, sondern zwingend nötig. Natürlich muss nicht alles, was seuchenrechtlich möglich und nötig ist, ins Jagdrecht übernommen werden. Niemand will eine Zwangsbejagung als Dauerzustand. Aber der ASP-Ausnahmezustand zeigt doch sehr genau die Schwelle, an der sich Jagdrecht und Jagdausübungsrecht Allgemeinwohlbelangen unterordnen müssen. Nach der Pest wird nicht nur in Bezug auf das Schwarzwild die Jägerwelt nicht mehr so sein wie vorher. Vor der Frage, was ihr Tun für das allgemeine Wohl beiträgt, können die Jäger sich nicht mehr in ihre Reviere flüchten. Das teuer bezahlte Dreihundert-Hektar-Jagdparadies ist ein Auslaufmodell.
Der renommierte Journalist Eckhard Fuhr ist stellvertretender Vorsitzender des ÖJV Brandenburg-Berlin.